tithu

Die Objekte der Hopi, die von Beginn an die größte Faszination auf Reisende, Ethnologen und Künstler ausübten waren die aus dem Wurzelholz der Amerikanischen Pappel (Cottonwood) geschnitzten Darstellungen der Katsinam, die von diesen bis heute zeremoniell an Mädchen verschenkt werden. Die Figuren zeigen alle Elemente, die auch die bei den Zeremonien erscheinenden Katsinam aufweisen, so dass die Mädchen die verschiedenen Katsinam zu unterscheiden lernen. Sie werden bis heute meist als Katchinapuppen (Kachina dolls) bezeichnet, da schon die ersten Beobachter gesehen haben, dass die Mädchen damit spielten. Die Wahrnehmung der Hopi ist allerdings eine andere: tihu (Pl. tithu) bedeutet nichts anderes als Kind. Die manchmal ebenfalls verwendete Bezeichnung katsintithu (Katsinakind) weist darauf hin, dass sie als Kinder der Katsinam betrachtet werden (Teiwes 1991:37). Die spirituellen Wesen schenken in diesem Sinne den Hopimädchen also ihre eigenen Kinder. Dabei wurden sie früher von Vätern für ihre Töchter geschnitzt, die sie von Katsinam überreicht bekamen. Alice Schlegel (2008) sieht darin auch ein Symbol für die soziale Beziehung des Vaters zu seiner Tochter. Haben Frauen im Haushalt die führende Rolle, sehen die Hopi Männer als Beschützer dieses für den Fortbestand der Hopi zentralen Geschlechts. Die Wertschätzung zeigt sich durch die tithu, durch welche die Mädchen auf ihre zukünftige Rolle als Mütter und Lebensbringerinnen vorbereitet werden. Jungen dagegen bekommen Pfeil und Bogen, da sie als Erwachsene für die Versorgung und den Schutz zuständig sein werden.

Während diese Aspekte unbestritten sind, spaltet die Frage nach der Bedeutung und Sakralität der tithu nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Hopi. Der ehemalige Leiter des Hopi Cultural Preservation Office (HCPO) Leigh J. Kuwanwisiwma weist darauf hin, dass nicht nur Sammler, sondern auch viele Hopi nur die säkulare Funktion als Spielzeug wahrnehmen. Als solches verkaufen diese Hopi sie dann problemlos als „Puppen“. Allerdings betont Kuwanwisiwma, dass tithu – seiner Ansicht nach – viel mehr sind:

“Innerhalb des Kontexts der religiösen Katsinatraditionen von größter Bedeutung, waren sie für die Hopi viel mehr als nur ‚Puppen‘. Sie waren Teil eines Übergangsritus eines Mädchens, während es heranwuchs. Diese tithu waren, ganz einfach, religiöse Objekte.“

(Kuwanwisiwma 2001:16)

Kuwamwisiwma vermeidet dabei jede Kritik an frühen Käufern oder Verkäufern, sondern betont die durchaus gute Bezahlung von 25 Cent pro Puppe durch den Geografen John Wesley Powell, der die Hopi 1870 während einer Expedition zur Erforschung des Colorado River besucht hatte (Powell 1875a&b). Im Laufe der Jahrzehnte wurden tithu zu einer Kunstform, obwohl die Hopi das Konzept der Kunst nicht kannten. So kann eine tihu eines bekannten Schnitzers heute mehrere tausend Dollar einbringen, während religiöse Spezialisten oder andere Individuen, die Kommerzialisierung ablehnen. Ein Kompromiss scheint dabei unmöglich, doch muss eine Institution wie das HCPO die Interessen aller vertreten, auch wenn Kuwanwisiwma selbst niemals kommerziell schnitzen würde. Für ihn ist es eine private Sache, die nur zu bestimmten Zeiten durchgeführt werden kann. Er betont, dass es in der Sprache der Hopi nie hieß, jemand hätte eine tihu geschnitzt, sondern immer, dass ein Katsina sie gegeben habe. Zusätzlich betont er den privaten Aspekt, den Religion für die Hopi hat. Tithu zu kommerzialisieren, bedeutet für ihn jedoch, Religion öffentlich zu machen. Dadurch können sich einzelne Klane oder die Kivagesellschaften durch das Schnitzen bestimmter Figuren oder deren Ausführung angegriffen fühlen. Kuwanwisiwma stellt klar, dass dies ein internes Problem ist, das eine große Herausforderung für die Hopi darstellt (Kuwanwisiwma 2001:16-18).

Nahezu einig sind sich die Hopi, wenn es um die Aneignung der Figuren und anderer Hopi-Kulturelemente durch nicht-Hopi geht: dies wird abgelehnt (Kuwanwisiwma 2001:18-21). In Bezug auf tithu werden die Navajo als schlimmste Täter angesehen. Diese haben in den 1950er Jahren begonnen, die meist als ‚Navajo Kachina‘ bezeichnete Figuren zu schnitzen. Nach der Publikation von Barton Wrights Kachinas. A Hopi Artist’s Documentary im Jahr 1973 wuchs das Geschäft rapide an. Das Buch zeigt 237 Gemälde des Hopi-Künstlers Cliff Bahnimptewa (1937-1984). Die detaillierteren und von Wright kommentierten Abbildungen von Katsinam dienten schnell als Vorlage für Navajo. Doch erst in den 1980er Jahren begannen diese Imitationen, zu einem guten Geschäft zu werden. In den 1990er Jahren wuchs die Zahl der angebotenen Figuren weiter an. Nun wurden ganze Fabriken gegründet, die Massenanfertigungen für den Touristenmarkt herstellten. Ohne an dieser Stelle auf die Perspektive der Navajo einzugehen, ist doch wichtig, dass nicht alle Hopi diesen die Schuld geben. Oft wird die Kommerzialisierung durch Hopi als das eigentliche Problem angesehen, welches alle weiteren verursacht hat (Pearlstone 2001:95-98).

Ein weiterer Aspekt der Diskussion um die Vermarktung von tithu ist auch die Diskussion um die Frage, welche Formen authentisch sind bzw. ab wann die Figuren wirklich nur noch Katsina Dolls für den Markt sind. Alph Secakuku, der einer der angesehensten Hopi-Spezialisten ist, unterscheidet dabei vier Typen von modernen Katsina-Darstellungen (2001:164):

  1. Katsinapuppen im alten Stil (old-style Katsina dolls), die einfach geschnitzt und mit Erd- und Pflanzenfarben in Erdtönen gestaltet sind. Sie können mit Federn, Stoff, Pflanzen und anderen Materialien verziert sein.
  2. Traditionelle Katsinapuppen (traditional Katsina dolls), die eine frühe Weiterentwicklung des ersten Typs sind. Hier können einzelne Teile des Körpers separat geschnitzt und angeklebt sein. Auch wenn die mit wasserbasierten, leuchtenderen Farben bemalten kommerziellen Figuren eine gewisse Dynamik ausstrahlen, z. B. durch die Andeutung einer Tanzbewegung, sind sie keine naturgetreuen Darstellungen.
  3. Einteilige Katsinapuppen (one-piece Katsina dolls) werden aus einem größeren Stück Pappelwurzel geschnitzt und haben höchsten kleinere Ausstattungsgegenstände wie Rasseln, Federn oder Pfeil und Bogen. Die schwer zu schnitzenden Figuren sind mit kommerziellen Farben bemalt.
  4. Skulpturen (sculptures) sind seit den 1970er Jahren auf dem Markt und beinhalten eine Katsinafigur und weitere Elemente, so dass sich eine Szenerie ergibt. Sie sind keine tithu und werden nicht im zeremoniellen Kontext benutzt. Diese Skulpturen werden oft auch als actions figures bezeichnet (Pearlstone 2001:54).

Nicht berücksichtig sind dabei „Fake Hopi-Style Katsina Dolls“ (Secakuku 2001:164), aber auch Figuren, die zwar den Stil von tithu haben, aber keine Katsinam darstellen, so z. B. Mickey Mouse oder Tusam Homichi, der Feldmaus-Krieger (2018-FE-00072) (vgl. Haberland 1980:158-159; Liebmann 2015).

Jenseits des Kunstmarktes unterscheiden die Hopi dem von der Third Mesa stammenden Anthropologen und Künstler Emory Sekaquaptewa (1928-2007) nach vier Formen von tithu. Diese sind abhängig vom Alter bzw. dem Entwicklungsstand des Kindes, dem die Figur geschenkt wird. Die Form der ersten tithu, die Babys bekommen, ist flach und ohne dreidimensionale Elemente gefertigt (putsqatihu). Im Gegensatz zu den darauffolgenden Formen, werden diese auch an Jungen verschenkt. Da sie früher an den Wiegenbrettern der Kinder befestigt wurden, werden sie heute oft als „Wiegenbrettkatchina/Cradleboard Kachina“ bezeichnet. Unter dieser falschen Bezeichnung wird auch die Form gefasst, die für etwas ältere Kinder hergestellt wird (putstihu taywa’yta) und erste dreidimensionale Elemente im Gesicht enthält, sonst aber den putsqatithu entspricht. Muringputihu ist die dritte Form, bei welcher der Körper nicht mehr flach, sondern zylindrisch und der Kopf vollständig ausgestaltet ist. Ab dem Alter von etwa zwei Jahren erhalten Mädchen und Frauen vollständig geschnitzte tithu (in Teiwes 1991:38-40).

Für den Markt werden heute verschiedene Phasen unterschieden, in denen jeweils andere Stile geschnitzt bzw. entwickelt wurden, auf die hier aber nur in aller Kürze eingegangen werden soll. Walsh (2019:7) definiert dafür aufbauend auf einer Struktur von Wright sieben zeitliche Phasen bzw. Kategorien:

  1. 1880 bis 1910: „Early Traditional“
  2. 1910 bis späte 1920er Jahre: „Late Traditional“
  3. 1930 bis Mitte der 1940er Jahre: „Early Action“
  4. Mitte der 1940er bis 1960er Jahre: „Late Action“
  5. Mitte der 1960er Jahre bis heute: „Ultra-Realistic“
  6. 1970er Jahre bis heute: „Traditional Style Revival or Traditional“
  7. Mitte der 1980er Jahre bis heute: „Sculptural“

Auch wenn diese Aufteilung sich gerade in Bezug auf die „traditionellen“ Formen mit Secakukus Unterscheidung überschneidet, so zeigt sich ein wesentlicher Unterschied darin, dass der Hopi keine zeitliche Unterscheidung macht. Er verbindet die Walsh Revival-Formen mit dessen Kategorien 1 und 2 und definiert zumindest die frühen Action-Figuren als traditionelle tithu, die etwas Dynamik haben. Es zeigt sich, dass derartige Kategorisierungen immer vor dem Hintergrund ihrer Funktion verstanden werden müssen. Für den Markt und Museen macht eine stilistisch-zeitliche Kategorisierung Sinn, da gerade auf Auktionen immer wieder tithu auftauchen, die so leichter datiert werden können. Für Hopi ist das jedoch unwichtig; relevant ist die Verwendbarkeit im zeremoniellen Kontext.

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