Die primitive Sachlichkeit:
Otto Dix und das Indianermotiv

von Ilia Nasyrov

Zwei Welten, die unterschiedlicher kaum sein konnten und sich dennoch immer kollidierten, waren die naturverbundene Welt der Ureinwohner Nordamerikas und die industrielle Welt der Europäer. Mit der Entdeckung der Neuen Welt war die Neugier der Europäer zu dem neuen Kontinent und seiner Bevölkerung geweckt. Sie erreichte ihren traurigen Höhepunkt Ende des 19. Jahrhunderts in den Völkerschauen Europas, in denen Ureinwohner verschiedener Kontinente für den europäischen Voyeur zur Schau gestellt wurden. In eben dieser Zeit wuchs Otto Dix auf und spiegelte schließlich die von ihm wahrgenommene Umwelt in seinen Werken wider. In einigen taucht ein exotisches Motiv auf: der „Indianer“. Die Darstellung des Fremden war jedoch keineswegs ein Einzelfall, weshalb sich dieser Text mit einigen Werken des Kriegsveteranen Dix aus den 1920er-Jahren beschäftigt und diese mit der Entwicklung und Faszination zur Exotik verbindet.

Auf der Suche nach Neuem

Bereits im Laufe der frühen Neuzeit wurden immer mehr Naturalien, Objekte, Artefakte und Menschen aus außereuropäischen Ländern in europäischen Kunstwerken dargestellt.1 Entdeckungen anderer Kontinente, Kulturen und Objekte wurden genauer dokumentiert und Reisende importierten neues Wissen über Menschen und Länder aus allen Himmelsrichtungen in Form von Artefakten, Bildern und Texten. Abbildungen der Ureinwohner Amerikas sind jedoch in den ersten 100 Jahren nach der Entdeckung eher selten. Das Interesse nach Exotischem war dennoch so groß, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis etwa zum Zweiten Weltkrieg Völkerschauen und Wildwest-Shows sich großer Beliebtheit in Europa erfreuten. Das widersprüchliche Interesse dem Fremden gegenüber wird an diesen „Menschen-Zoos“ deutlich: der Faszination und Sehnsucht nach Neuem stehen Vorurteile, Eurozentrismus und Rassismus gegenüber.2

Ende des 19. Jahrhunderts tourten so viele afrikanische Ureinwohner durch Deutschland, dass es regelrecht zu einer Marktübersättigung kam. Dies führte dazu, dass Shows wie Buffalo Bill’s Wild West und Doc Carvers’s Wild America, die mit nordamerikanischen Ureinwohnern besetzt waren, eine willkommene Abwechslung in der damaligen Unterhaltungsszene darboten.3 Diese Shows dienten nicht dem anthropologischen Interesse des Publikums, sondern befriedigten die damals bekannten fiktiven Vorstellungen aus dem „Cowboy-Indianer-Universum“.4 Deren Beginn markieren Übersetzungen aus dem Englischen der sogenannten Lederstrumpf-Erzählungen und die heimischen Karl May Bücher im 19. Jahrhundert. Die erfundenen Narrationen einer fremden, neuen Welt voller guter und böser Indianer wurde ein Verkaufsschlager. Der „edle Wilde“, der weder weint noch Schmerz kennt, fasziniert die Deutschen bis heute.5 Selbst Aby Warburgs Motivation seiner 1895 stattgefundenen Amerika Reise war eine romantische Neugier an dem Wilden Westen.6

Otto Dix (real name no gimmicks)

Die meisten Werke von Otto Dix, die das „Indianer“-Motiv abbilden, entstanden Anfang des 1920er-Jahren und begründen dessen Aufstieg. Doch bis zu dieser Phase seines Lebens musste der junge Dix einige schwere Hürden überwinden. Nach seiner zähen Ausbildung zum Dekorationsmaler folgte bis 1914 ein Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule in Dresden. Die folgenden vier Jahre diente Dix an der Front des Ersten Weltkrieges – unter anderem als Maschinengewehr-Schütze – und war mehrfach verwundet. Die Kunsthochschule schloss Dix erst nach dem Krieg ab. Die Kriegserlebnisse prägten ihn stark und Hässlichkeit, Rohheit und Ehrlichkeit wurden zu immer wiederkehrenden Motiven seiner Bilder und machten ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit.7

Das schöne Fremde

Trotz (oder vielleicht gerade wegen) seiner Kriegsvergangenheit widmete sich Dix in seinem Werk An die Schönheit aus dem Jahr 1922 den glücklichen Dingen des Lebens zu. Im Mittelpunkt des Werkes steht der Maler selbst, der sowohl auf als auch vor der Leinwand ein „cool-lässiger Salon-Dandy“8 gewesen sein soll. In seiner Selbstdarstellung findet sich Dix in einem menschengefüllten Tanzlokal wieder. Rechts neben Dix sitzt ein dunkelhäutiger Musiker am Schlagzeug, dessen Bass Drum mit einem Indianerprofil samt Federkopfschmuck verziert ist. Einen weiteren Hinweis auf die Herkunft des Musikers liefert das in der Jackettasche eingesteckte Tuch mit einem Stars-and-Stripes Motiv. Der Schlagzeuger kommt also aus Amerika und demnach wird im Tanzlokal Jazz-Musik gespielt. Das Selbstbildnis des Künstlers in dieser Inszenierung lässt ihn als eine weltgewandte Person interpretieren, die sich der etablierten Ordnung seiner Zeit entgegenstellt.9

Noch im gleichen Jahr entstand das Bilderbuch für Muggeli für seinen damals zukünftigen Stiefsohn Martin, welches aus 16 farbenfrohen Aquarellen besteht.10 Die Arbeiten zeigen stereotypisierende, unterhaltsam gestaltete Momente von Menschen aus der gesamten Welt: Zirkusszenen mit Tieren und Akrobaten; krokodiljagende, dunkelhäutige Afrikaner mit Kopfschmuck, Speer und Schild; oder die Völkervielfalt der Metropole New York im gleichnamigen Bild. Letzteres betont die Herkunft aus verschiedenen Ländern durch klischeehafte Darstellungen, welche sich der Hautfarbe und nationaltypischen Attributen bedienen.11 Der „Asiate“ ist gelb mit Zopf und Kegelhut, der „Indianer“ rot mit Federkopfschmuck und der „Afrikaner“ dunkelbraun mit Kreolenschmuck der Kolonialmächte. Das „Indianermotiv“ ist sowohl in New York als auch in zwei weiteren Abbildungen des Bilderbuches zu sehen: Einmal in Form eines Reiters und ein weiteres Mal in einer Figur neben einem Tipi-Lager. Aus heutiger Sicht zwar schwer nachvollziehbar, war das Kinderbuch seinerzeit traditionell und kindgerecht gestaltet worden.12

Im gleichen Jahr entstand eine Reihe aus vier Radierungen, die Dix Zirkus betitelte. Hierbei handelt es sich um eine Art Kuriositätenkabinett der Zirkuswelt. Neben der von Kopf bis Fuß tätowierten Suleika, das tätowierte Wunder werden zwei Akrobatinnen in dem Werk Internationaler Reitakt und Lili, die Königin der Luft grob skizziert dargestellt. Die Radierung Amerikanischer Reitakt zeigt schließlich drei mit Flinten bewaffnete und auf Pferden im Stehen reitende Indianer. Diese Reihe erinnert an den Exotismus der Völkerschauen des 19. Jahrhunderts. Das Aquarell Ich als Indianer aus dem Jahr 1923 ähnelt den früheren Bilderbuchaquarellen, die Dix für Kinder angefertigt hat. Im Gegensatz zu anderen Selbstbildnissen von Dix weisen hier nur der Titel und die Signatur „Onkel Dix“ darauf hin, dass sich der Maler selbst als „Indianer“ mit Bogen und Beil in den Händen darstellt. Dix eigene Kampferfahrungen aus dem 1. Weltkrieg lassen jedoch die Deutung der Darstellung, die sich des Motivs des „Indianerkriegers“ bedient, der weder weint noch Schmerzen empfindet, um eine Ebene erweitern.

Ich war noch niemals in New York

In Dix Werken findet sich eine Ambivalenz seiner Zeit wieder, die den „Indianer“ als Motiv nutzt. Im Mittelpunkt steht hier zwar das Interesse am Fremden, welches einerseits als Zeichen für eine Weltoffenheit oder Neugier zu verstehen ist, aber auch andererseits die Primitivität der Fremden vorführt. Dix Darstellungen waren weder herabwürdigend noch weichten sie von der Vorstellung des stereotypischen Primitiven ab, die seinerzeit in Europa herrschte. Es ist weder dokumentiert noch lassen die Werke den Betrachter vermuten, dass Dix jemals Nordamerika und dessen Ureinwohner tatsächlich besucht hat. Es lässt sich also festhalten, dass eine Wanderung zwischen den Welten hier nur einseitig stattgefunden hat.

  1. Beyme, Klaus von: Die Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst, München 2008, S. 61.
  2. Ebd., S. 7.
  3. Ames, Eric: Cooper-Welten. Zur Rezeption der Indianer-Truppen in Deutschland. 1885–1910, in: Ausst.kat. I Like America, Frankfurt am Main (Schirn Kunsthalle), München 2006, S. 212–229, hier: S. 213–214.
  4. Ebd. S. 222.
  5. Ebd. S. 45.
  6. Mann, Nicholas: Vorwort, in: Cestelli Guidi, Benedetta & Nicholas Mann (Hgg.): Grenzerweiterungen. Aby Warburg in Amerika 1895–1896, Hamburg 1999, S. 7.
  7. Karcher, Eva: Dix, München 1986, S. 14.
  8. Schwarz, Birgit und Michael Viktor Schwarz: Dix und Beckmann.Welterkenntnis versus Weltüberwin-dung, in: Ausst.kat. Dix – Beckmann. Mythos Welt, Mannheim & München (Kunsthalle Mannheim, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München), München 2013, S. 10–21, hier: S. 11.
  9. Lange, Barbara: Indianer sein: Von der Sehnsucht nach dynamischer Existenz bei Aby Warburg und Marden Hartley, in: Änne Söll und Gerald Schröder (Hrsg.): Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20. und 21. Jahrhundert, Köln 2015, S. 19–36, hier S. 19–22.
  10. Knubben, Thomas: Dix' Düsseldorfer Jahre, in: Ausst.kat. Otto Dix. Aquarelle der 20er Jahre, Ravensburg (Städtische Galerie Ravensburg), Ostfildern 2002, S. 99–108, hier: S. 103.
  11. Ebd., S. 104.
  12. Ebd. S. 105.
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