Wissenschaftliche Bearbeitung und Klassifikation
Neben Institutionen haben auch schon früh Privatpersonen begonnen tithu zu sammeln. Neben Künstlern wie z. B. André Breton oder Max Ernst, die sich vor allem aus künstlerischer Perspektive für die Figuren interessierten, waren dies vor allem Amerikaner*innen, die dem in den 1890er Jahren verstärkt einsetzenden Boom der Vermarktung von „indianischem“ Kunsthandwerk aus dem Südwesten der USA folgten. Die Käufer*innen hatten meist ein romantisierendes Indianerbild, das mit der neu entdeckten Liebe zur wilden Landschaft und der Suche nach einer US-Amerikanischen Identität verbunden war. Die Sammler*innen lebten oft an der Ostküste der USA und nutzen die Vertriebswege der Fred Harvey Company oder waren als Reisende in den Kontakt zu den indigenen Kulturen des Südwestens gekommen (Lindner 2013:248-251).
Einer der Sammler war der in Phoenix tätige Architekt Jon Rinker Kibbey, der 1913 oder 1914 begonnen hatte, eine große tithu-Sammlung anzulegen. Nach dem 2. Weltkrieg verkaufte dieser seine Figuren an den späteren US-Senator Barry Goldwater. Dieser sammelte weiter, bis er seine 437 Figuren im Jahr 1969 dem Heard Museum in Phoenix schenkte, wo sie heute Teil einer der umfassendsten tithu-Kollektionen der Welt ist. In seinem Bericht über die Sammlung in dem sechs Jahre später erschienenen Katalog zeigt Goldwater, dass er die Figuren vor allem als Kunst, aber auch als ethnographische Objekte betrachtet hat:
„Mein sehnlichster Wunsch für die Zukunft dieser Sammlung ist es, dass Schülerinnen und Schüler aller Altersgruppen sie besuchen und studieren können und dass sie mit einem umfassenderen Verständnis zurückkehren, was Katchina für die Pueblo-Indianer bedeutet und was das Pantheon der indianischen Geister für uns und unser Erbe der amerikanischen Kunst bedeuten könnte. Meiner Meinung nach könnten alle Künstler aus diesen Katchina-Puppen Ideen für abstrakte Kunst, für Inspiration der Form und für unbegrenzte Themen gewinnen.“
Eine Herausforderung für Sammler – institutionelle ebenso wie private – war und ist bis heute die Identifizierung der dargestellten Katsinam. Zwar konnten und können Verkäufer vor Ort den Namen direkt angeben, doch halfen Publikationen wie die von Fewkes (1903) bei zweifelhaften oder anonymen Figuren. Das Berliner Museum nutzte seine Verbindungen zu Heinrich Voth. Nach dem Kauf der Keamssammlung (s. o.) schickte Karl von den Steinen diesem Informationen und Fotos der erworbenen tithu zur Beurteilung. Voth sendete eine Liste zurück, in der die Authentizität der Figuren mit Noten angegeben wurde. Dass er dabei nahezu an allen tithu Kritik übte, sieht Hans-Ulrich Sanner als Hinweis darauf, dass die Figuren für den Markt hergestellt waren, und die Schnitzer sie dafür modifiziert hatten (persönl. Korrespondenz 2020; Sanner 1999:122). Derartige Modifikationen konnten Konflikte innerhalb des Klans verhindern und waren – nicht nur bei tithu und bei den Hopi – nicht unüblich, um religiöse Objekte vermarktbar zumachen (vgl. Bol 2001:141). Wright dagegen betont, dass Schnitzer von 1910 bis zum 2. Weltkrieg keinen Unterschied zwischen kommerziellen und „traditionellen“ Figuren machten. Allerdings waren die tithu nun feiner ausgearbeitet, und einzelne Charakteristika von Figuren veränderten sich. So verschwanden männliche Genitalien und ehemals nackt dargestellte Katsinam bekamen Kleidung (Wright 2001:148-149).
Solche Veränderungen erschwerten die Identifizierung von tithu und ihre „Vielfältigkeit hat ihre Sammler … verwirrt“ (Colton 1959:vii). Aus diesem Grund war es eine große Erleichterung als der Zoologe Harold S. Colton 1949 unter dem Titel Hopi Kachina Dolls. With a Key to Their Identification die erste Liste herausbrachte, die es ermöglichte, über die einzelne Elemente der Masken Katsinam (und damit auch tithu) zu identifizieren. Colton hatte 1928 in Flagstaff das Museum of Northern Arizona gegründet, und die Nähe zu den Hopi erlaubte ihm, für die Publikation auf die Hilfe zweier Hopispezialisten zurückgreifen zu können. Daneben zog er für das Buch auch Publikationen von Stephen, Stevenson, Fewkes, Voth und anderen heran. Zehn Jahre später erschien das Werk in einer überarbeiteten Version, deren Reprints bis heute im Buchhandel erhältlich sind.
Coltons Liste und Klassifikation ist bis heute hilfreich, die Benutzung ist jedoch zugleicht nicht unproblematisch. Während er bei einzelnen Beschreibungen Varianzen und Unklarheiten erwähnt, ist sein Werk, das 266 Katsinam und 36 Gottheiten beschreibt, insgesamt von einer ausdrücklichen Normativität geprägt. Da das Erscheinungsbild von Katsinam zum Teil jedoch lokal und zeitlich erheblichen Unterschieden unterworfen sein kann – und für den Markt produzierte tithu nicht immer exakt sind – kann dies zu Ungenauigkeiten oder Fehlinterpretationen führen. Auch die Interpretation, ob eine Erscheinung zu den Katsinam, zu den Gottheiten oder zu keiner der Kategorien gehört, ist nicht immer so klar zu beantworten, wie er es tut. Die von ihm eingeführte Klassifikation ist ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Zwar schreibt er selbst, dass derartiges Schubladendenken für die Hopi nicht in Frage kommt und die Vielfältigkeit der Meinungen es auch unmöglich macht (Colton 1959:6), doch definiert er trotzdem sechs Klassen von Katsinam: 1. Mong (Chief) Katsinam (Anführer), 2. Clowns, 3. Wawarus bzw. Runner Katsinam (Läufer), 4. einzeln oder paarweise auftretende Katsinam, die zu Powamuya oder während gemischter Tänze auftreten, 5. Katsinam die in großen Gruppen während Reihentänzen auftreten und 6. Weibliche Katsinam (Katsinmamant).
Zum Abgleich konnte ab 1973 Barton Wrights schon oben erwähnte Publikation der Gemälde von Cliff Bahnimptewa dienen. Der Archäologe und Ethnologe war Kurator am Museum of Northern Arizona und hatte bereits an der zweiten Auflage von Coltons Buch mitgewirkt. Vier Jahre später publizierte er ein Standardwerk, das bis heute für viele Galerien und Sammler als Referenz herangezogen wird. Hopi Kachinas. The Complete Guide to Collecting Kachina Dolls basiert auf der Sammlung des Museum of Northern Arizona und ist – ähnlich wie Coltons Buch – mit angemessener Vorsicht zu benutzen. Wright war sich bei dieser ersten Publikation zu tithu, die auch explizit Tipps zum Sammeln gibt, jedoch sicher bewusst, kein endgültiges oder perfektes Werk abzuliefern, wenn man seine Bemerkungen zu einer seiner anderen Publikationen (Hallmarks of the West, 1989) betrachtet:
„Zu beachten ist vor allem die Tatsache, dass es sich nicht um eine erschöpfende Arbeit handelt, sondern um eine – so ist zu hoffen –, die durch zusätzliche Informationen ergänzt werden kann. Zweitens wird die Tatsache, dass es Fehler in den Daten gibt, voll anerkannt.“
Trotz aller Probleme und der Kritik durch indigene Personen gilt der 2011 verstorbene Wright bis heute als einer der größten Experten des Themas und konnte sich auch auf seine guten Kontakte zu den Hopi berufen. Seine Klassifikation baut auf der von Colton auf und erweitert sie um von anderen Pueblo-Gruppen „geliehene“ Katsinam, Vogel-Katsinam, Tiere, Pflanzen, Jäger, und andere. Er sortiert die Katsinam so nach Funktion oder Aussehen, betont aber, dass diese Einteilung eher der Übersichtlichkeit dient und künstlich ist – zumal ein Katsina in mehrere Klassen fallen kann. Wright hebt hervor, dass insbesondere ältere Hopi solche Funktionsgruppen erkennen, diese jedoch nicht nutzen (Wright 1977:27-28).
In Deutschland sind insbesondere zwei Publikationen zu Sammlungen für die wissenschaftliche Bearbeitung von tithu von Bedeutung, die beide nicht auf eigener Forschung beruhen, sondern ihre Interpretationen und Darstellungen in Bezug auf die Figuren im Wesentlichen auf die bereits erwähnte Literatur stützen. 1978 veröffentlichte Horst Hartman die Katsinam der Berliner Sammlung, 1980 folgte als Begleitpublikation zur Ausstellung im Badischen Landesmuseum, Karlsruhe Kachina-Figuren der Pueblo-Indianer Nordamerikas aus der Studiensammlung Horst Antes (überarbeitet 2000). Der Künstler zu dessen druckgrafischen Hauptwerken die Grafikmappe The Year of the Hopi gehört, übergab seine über 500 tithu umfassende Sammlung, die „im Hinblick auf künstlerischen Ausdruck und formale Aussagekraft zusammengetragen worden ist“ (Haberland 1980:21), im Jahr 2014 dem Ethnologischen Museum Berlin, so dass beide Publikationen heute die komplette Sammlung von Hopi-tithu des Museums abbilden.
Seit den 1980er Jahren stieg die Zahl von Publikationen, die sich auf unterschiedlichen Niveaus mit Katsinam und tithu beschäftigen weiter an. Dabei verlor der klassifizierende und beschreibende Charakter immer weiter an Bedeutung. Das von Helga Teiwes 1991 veröffentlichte Buch Kachina Dolls. The Art of Hopi Carvers setz einen Schwerpunkt auf die kunsthandwerklichen und künstlerischen Aspekte der Figuren. Der Kunsthändler Barry Walsh verlagerte 2019 (The Great Tradition of Hopi Katsina Carvers. 1880 to Present) den Schwerpunkt noch mehr hin zu den Künstlern. Dazwischen erschienen insbesondere zwei zentrale Werke vor, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
1995 veröffentlichte das Heard Museum in Phoenix zum ersten Mal seit Wrights Katalog der Goldwater-Sammlung (1975) ein Buch zu den tithu des Museums. Erstmalig ist hier der Autor selbst Hopi. Alph Secakuku folgt in Hopi Kachina Tradition. Following the Sun and Moon dem Zeremonialkalender der Second Mesa. Dabei stützt er sich im Wesentlichen auf eigene Erfahrungen und Kenntnisse und betont die Problematik seiner Publikation im Hinblick auf die Meinungsvielfalt unter den Hopi, die das Teilen von religiösen Informationen nicht alle gutheißen. Aus diesem Grund fehlen Beschreibungen von „Hopi-Zeremonien, die zu geheim sind, um sie zu erörtern“ (Secakuku 1995:xi). Die beschriebenen Zeremonien werden von ihm auch nur relativ grob umrissen, während die Katsinam vor allem in Bezug auf ihre Bedeutung und Funktion dargestellt werden. Hinweise auf typische Ausstattungsmerkmale oder optische Vorgaben fehlen fast vollständig, was durchaus der Vorgabe entspricht, dass das „Buch nur für Bildungszwecke, nicht als öffentlicher Führer gedacht ist“ (Secakuku 1995:viii).
Der von Zena Pearlstone im Jahr 2001 herausgegebene Sammelband Katsina. Commodified and Appropriated Images of Hopi Supernaturals hat einen gänzlich anderen Ansatz. Zentral ist hier der von verschiedenen Expert*innen geschaffene historische und kulturelle Überblick, der Pearlstones eigenen Beitrag über die Kommerzialisierung der Katsinam im 20. Jahrhundert umrahmt. Nicht nur die eingebetteten Künstler*innen-Porträts schaffen dabei eine Hopi-Perspektive, sondern auch Beiträge von Hopi selbst. Hier ist besonders der Beitrag von Leigh J. Kuwanwisiwma zentral. Der damalige Leiter des Hopi Cultural Preservation Office diskutiert darin sehr offen die verschiedenen Standpunkte, die unter den Hopi in Bezug auf das Teilen von religiösem Wissen und die Vermarktung der tithu in Konflikt zueinander stehen.