Emil Noldes Blick auf die Katsina-Figuren der Hopi

von Julia Ballweg dos Santos

Der Blick auf nichteuropäische Völker und deren Kunst ist eine Erscheinung, welche besonders in der modernen Kunst zu neuen Erkenntnissen und einer Erweiterung des Kunstbegriffes führen sollte. Viele Künstler*innen setzten sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem ‚Indianer‘-Thema auseinander und prägten durch ihre Rezeption von Abenteuerliteratur, in der europäische Muster auf die Welt der Indianer übertragen wurden, und ihre eigene künstlerische Auseinandersetzung damit das klischeehafte Bild der Ureinwohner Amerikas.1

Im folgenden Beitrag wird daher gefragt, wie es dazu kam, dass ein deutscher Künstler in den 1910er Jahren sich mit nordamerikanischen Kunst- und Kulturobjekten in malerischer und zeichnerischer Form auseinandersetzte und inwieweit der Künstler dabei die Herkunft und Funktion der Figuren reflektierte. Im Folgenden wird sich auf ausgewählte Werke aus dem Oeuvre Emil Noldes konzentriert und der Umgang des Künstlers mit fremden Objekten kritisch hinterfragt.

Nolde ist ein wichtiger Vertreter des deutschen Expressionismus und sein Schaffen spiegelt die Suche nach Form und Farbe in der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts wider,2 die durch die Veränderung der üblichen Sehgewohnheiten resultierte, welche von den Regeln und Vorschriften der Akademien geprägt und geleitet wurden. Durch die Betrachtung und Erforschung einer ‚ursprünglichen‘ Kunst der exotischen Völker versuchten die Künstler*innen zu einer Erkenntnis für ihre Kunst und zu einem erweiterten Kunstbegriff zu gelangen und sich dadurch über die akademischen Regeln und Vorschriften hinwegzusetzen.3 Dabei ist jedoch die Aneignung von fremdem Kulturgut durch unreflektiertes Übernehmen von Mustern aus einer gegenwärtigen, kunsthistorischen Perspektive äußerst kritisch zu betrachten. Dieses aneignende Verhalten wurde jedoch von vielen deutschen Künstler*innen zur damaligen Zeit nicht weiter hinterfragt, sondern schlichtweg unreflektiert übernommen.4

Emil Nolde zählt zu den Künstler*innen, die sich nicht für die Herkunft oder den kulturellen Hintergrund der Kunstobjekte oder der Menschen interessierte. Er blickte als privilegierter Europäer von außen auf die Katsina–Figuren und nutzte die primitive Kunst zu seinem eigenen Zweck. Nolde zeichnete 1911 Studien im Berliner Völkerkundemuseum für sein geplantes Buch mit dem Titel Kunstäußerungen der Naturvölker und fertigte dabei auch Skizzen von Katsina–Puppen an.5 Woher diese Figuren kamen und welche Bedeutung diese in der Kultur der Hopi besaßen, erörterte Nolde dabei nicht. Diese Einstellung Noldes lässt sich anhand von seinen Bildern genauer belegen. Das Gemälde Exotische Figuren I. von 1911 zeigt zwei buntfarbige Katsina–Figuren und ein schwarzes, langgezogenes Tier mit Schwanz (vielleicht ein Hund), das hinter der linken Figur in den linken Bildraum schaut. Das Bildpersonal steht vor einem weiß-blauen Hintergrund auf einem dunklen Grund, der aus roten und schwarzen Flecken besteht. Der Vergleich des Gemäldes mit Noldes Zeichnung zeigt noch deutlicher die Beschaffenheit des Künstlerblickes auf die Katsina-Puppen: Die Figuren werden nicht dreidimensional gefasst, sondern als Farbflächen und damit in ihrer Erscheinung auf rein ornamentale Strukturen reduziert. Das Bild Exotische Figuren II. von 1911 zeigt eine weitere Darstellung einer Katsina–Puppe, die mit zwei schwarzen Katzen leicht von der Bildmitte abgerückt im Vordergrund steht. Die Form des nach oben steigenden, getreppten Kopfschmucks wiederholt sich im Hintergrund des Himmels. Die beiden Katzen wirken nicht zahm, sondern schauen den Betrachter raubtierhaft mit weit aufgerissenen Augen und Mäulern entgegen und tragen dazu bei, das „Exotische“ in dem Bildmotiv mit einer weiteren Komponente zu deuten: Nämlich als das Fremde, das auch mit Gefahr verbunden ist.

Warum setzte sich Nolde überhaupt mit den Katsina–Figuren der Hopi auseinander? Warum setzte er die Zeichnungen anschließend in Gemälde um? Sein Blick ist der eines europäischen Künstlers, der sich in seiner Kunst von akademischen Regeln abwandte, um nach einer neuen Ausdruckskraft der Malerei zu suchen. Nolde fand diese erstrebte Neuerung in der Kunst der außereuropäischen Völker, in deren Artefakte mit stark geometrischen Formen und kräftigen Farben wieder. Die Betrachtung der Katsina–Figuren kann also als eine Inspirationsquelle angesehen werden. Dass Noldes Skizzen an Kinderzeichnungen erinnern, ist kein Zufall, denn das Ursprüngliche und Intuitive tritt in der Kunst der Moderne in den Vordergrund.

Noldes Rezeption und Aneignung der Kunst der Hopi kann als Versuch gedeutet werden, das Ursprüngliche zu finden und in der eigenen Malerei widerzuspiegeln. So schrieb Nolde in einem Brief 1908: „Meine Kunst ist nicht für Augen, welche in der Vergangenheit haften, sie ist für die Sinne der jüngsten Gegenwart und für die Zukunft.“.6 Damit wandte sich der Künstler bewusst gegen die traditionellen Sehgewohnheiten der Zeit und versuchte durch einen veränderten Blick zu einem kraftvollen Ausdruck zu gelangen. Nolde war mit dieser Strategie nicht alleine: Das Ursprüngliche an der Kunst der Naturvölker faszinierte noch viele weitere Künstler*innen seiner Zeit.7 Noldes Beschäftigung mit der Kunst der Naturvölker endete nicht mit den Darstellungen der Katsina-Puppen. Er war ebenfalls fasziniert von afrikanischer und asiatischer Kunst. Diese konnte er teilweise auch in den Entstehungsorten besichtigen, denn 1913/14 nahm er als Zeichner an der medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition des Reichskolonialamtes teil.

Man kann davon ausgehen, dass Nolde den kolonialen Gedanken und dessen Auswirkungen ausgesetzt war und diese Gedanken in seiner Kunst weiterführte. Somit war Emil Nolde “Kind seiner Zeit“ und führte die allgemein gegenwärtigen Einstellungen gegenüber den nichteuropäischen Kulturen in seiner Kunst unkritisch weiter. Man muss sich deshalb nicht wundern, wenn sich der Künstler an kulturellem Eigentum bediente und sich dieses nach eigenem (europäischem) Geschmack aneignete. Die Hinwendung zum Primitiven in der Kunst und die Aneignung der Kunst der Anderen durch Künstler*innen wie Emil Nolde sei laut Mccloskey eine „positive Alternative zum Materialismus der Moderne und des Großstadtlebens“8 .

  1. Bolz, Peter, Indianer und Katsinam. Annäherungen der europäischen Avantgarde in die indigenen Kulturen Nordamerikas, in: Ausst.kat. dada Afrika. Dialog mit dem Fremden, Zürich/Berlin (Museum Rietberg Zürich/Berlinische Galerie), Zürich 2016, S. 56–61, hier: S. 56.
  2. Bassie, Ashley: Expressionismus, New York 2012, S. 8.
  3. Ebd. S. 233–240.
  4. Ebd.
  5. Bolz 2016 (wie Anm. 1), S. 57–58.
  6. Brief vom 11.03.1908, siehe Stückelberger, Johannes: Rembrandt und die Moderne. Der Dialog mit Rembrandt in der deutschen Kunst um 1900, München 1996, S. 209.
  7. Ebd., S. 209f.
  8. Mccloskey, Barbara: Von der „Frontier“ zum Wilden Westen. Deutsche Künstler, nordamerikanische Indianer und die Inszenierung von Rasse und Nation im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Ausst.kat. I like Amerika, Frankfurt (Schirn Kunsthalle), München [u.a.] 2006, S. 299–321, hier: S. 312.
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