August Mackes Verbindung zum Blauen Reiter und die Faszination für den (gar nicht so) Wilden Westen – Zwischen Romantik, Natur, Primitivismus und Faszination
von Franka Marlene Schlupp
Der Wilde Westen ist eine Bezeichnung, die wir heute noch mit Cowboys und Indianern in Verbindung bringen. Allerdings ist dieser Ausdruck überholt, denn die Zeiten haben sich geändert. Um 1900 war der Blick auf diesen Wilde Westen etwas verklärt und Nordamerika ein fantastischer Sehnsuchtsort für Abenteuer und Naturverbundenheit. So auch für den Künstler August Macke, dessen romantische Vorstellung vom Wilden Westen von Sehnsucht nach stillem Einklang mit der Natur durchzogen ist, welche als Grundlage seiner Inspiration für neue, lebendige und farbenfrohe Formen diente.1 Doch wie kam August Macke in Berührung mit dem Wilden Westen, der in seinen Bildern eher romantisch wirkt? Und welche Rolle spielt die Verbundenheit mit der Künstlergruppe Der Blaue Reiter in Mackes künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Indigenen?
Wer war eigentlich der Künstler August Macke?
Geboren im Jahr 1887 in Meschede, wuchs August Macke in Köln und Bonn auf. Sein frühes Interesse an Kunst führte ihn 1904 an die königliche Kunstakademie in Düsseldorf, wo er jedoch das Nachahmen antiker Vorbilder kritisierte. Bereits zwei Jahre später verließ er die Akademie.2 In seinem kurzen Künstlerleben, das im Ersten Weltkrieg ein frühes Ende nahm, ließ er sich von unterschiedlichen Künstlern inspirieren. Insbesondere Claude Monet, Édouard Manet, Henri Matisse oder Pablo Picasso dienten ihm als Vorbild für den Einsatz von Farbe und die Gestaltung von Formen.
Macke unternahm viele Reisen, unter anderem nach Italien, in die Niederlande, nach Belgien, London, Paris und (zusammen mit Paul Klee und Louis Moillet) sogar nach Tunesien. Auf seinen Reisen beschäftigte er sich intensiv mit Kunst und Künstlern seiner Zeit, besuchte Museen und sammelte Inspiration für seine eigene Kunst.3 In München lernt er Franz Marc kennen. Aus dieser Begegnung entstand eine lebenslange Freundschaft. Marc führte Macke in die Neue Künstlervereinigung München ein und machte ihn mit Künstlern wie Wassily Kandinsky und Gabriele Münter bekannt, die sich später, nach einem Zerwürfnis mit der Münchner Künstlervereinigung, zur Gruppe der Blaue Reiter formatierten.
August Macke und die Künstlergruppe Der Blaue Reiter
Kandinsky und Marc, Gründungsmitglieder des Blauen Reiters, hatten bestimmte Vorstellungen von Kunst. Sie wünschten sich eine Erneuerung der Kunst, ausgehend vom Ursprung der Kunst, sprich durch die Kunst von Naturvölkern, durch Volkskunst und außereuropäischer Kunst. Es sollte eine gemeinsame Ebene mit dem Exotischen, dem Fremden und den von Europäern weniger geschätzten und oftmals als ‚primitiv‘ bezeichneten Kunstwerken geschaffen werden.4
Der Gruppe ging es vornehmlich darum, eine spirituelle, neue Ebene in die Kunst zu bringen. Sie sprachen sich gegen die akademische Kunst aus. Jeder sollte seinen eigenen Stil finden, die geistige Verbindung und Auseinandersetzung stand dabei im Vordergrund. Der Begriff des Pluralismus – dass alles denselben Wert hat – war für die Künstler besonders wichtig. Eine weltweite, neue und vor allem auch internationale Sicht auf die Kunst sollte erzeugt werden.
Franz Marc bewegte Macke immer wieder dazu, an den Aktivitäten der Neuen Künstlervereinigung München, welche später in den Blauen Reiter mündete, teilzunehmen. Macke wurde Teil der Redaktion der Publikation Der Almanach Blaue Reiter und stellte einige seiner Werke für Ausstellungen bereit.
Von den expressionistischen Darstellungen des Blauen Reiters sowie deren Philosophie wandte er sich allerdings schnell wieder ab und kritisierte, dass ihm die Werke von Marc und besonders auch die von Kandinsky, zu theoretisch und sogar ein bisschen eingebildet schienen. Macke schrieb Marc im Jahr 1912 nachdem er eine Ausstellung des Blauen Reiters in Köln besucht hatte:
„Ihr mutet Euch zuviel zu. Und nun sah ich, daß ich dich warnen mußte, als blauer Reiter zu sehr an das Geistige zu denken.“ 5
‚Primitivismus‘ und die Künstlergruppe Der Blaue Reiter
Im Kunstdiskurs des 20. Jahrhunderts findet der Begriff ‚Primitivismus‘ vor allem in Bezug auf ursprüngliche Kunst und Volkskunst seine Verwendung. Vor allem die Kunst von Urvölkern diente den Künstlern dieses Jahrhunderts als Inspirationsquelle und gab ihnen für ihr eigenes Kunstschaffen Impulse. Auch die Anhänger des Blauen Reiters beschäftigten sich mit ‚primitiver‘ Kunst, sie fokussierten sich allerdings hauptsächlich auf afrikanische Kunst und Masken.6
„Die Freuden, die Leiden des Menschen, der Völker, stehen hinter den Inschriften, den Bildern, den Tempeln, den Domen und Masken, hinter den musikalischen Werken, den Schaustücken und Tänzen. Wo sie nicht dahinterstehen, wo Formen leer, grundlos gemacht werden, da ist auch nicht Kunst“
, schreibt August Macke in seinem Beitrag mit dem Titel Die Masken für den Almanach im Jahr 1911.7 Man kann dies als Ausdruck der Emotionalität und Faszination für einen angenommenen x‚Primitivismus‘ verstehen. Der Almanach war eine einmalig erschienene Ansammlung von Schriften, Abbildungen und Werken der Künstler rund um den Blauen Reiter. Sie veröffentlichten, was sie inspirierte und brachten den von ihnen gewünschten Pluralismus in die Kunstwelt, indem sie zum Beispiel auch afrikanische Plastiken abbildeten. Der Almanach beinhaltete außerdem Abbildungen mittelalterlicher Stickereien, russischer Volkskunst, chinesischer Malereien, byzantinischer Mosaike und sogar Kinderzeichnungen.8
August Mackes romantischer Wilder Westen
Im Jahr 1911 malte August Macke eine dreiteilige Serie, die sich thematisch und bildlich mit der Darstellung von Indigenen beschäftigte. Die romantischen Bilder stehen in enger Verbindung zu seinem Bedürfnis, die Natur in ihrer Pracht und Farbenfreude nachzuempfinden und sich somit gegen den „Materialismus der Moderne und des Großstadtlebens“ zu wenden. Macke, der hauptsächlich die ihm bekannten Dinge malte, wich bei diesen Bildern davon ab und vermischte Vorstellungskraft und Gesehenes zu Werken, die eng mit dem Ideengut des Blauen Reiters verknüpft sind. Inspiriert wurde Macke wahrscheinlich während des Besuchs einer Wildwest-Show. Um 1900 erlebten diese Shows eine große Beliebtheit im deutschsprachigen Raum. Am Rand dieser Shows kampierten die Schauspieler in Zelten und boten Macke so Inspiration für seine Bilderserie. Seine Werke strahlen eine friedliche, altmodische Vorstellung des Lebens der Indigenen wieder und erklären somit die Dargestellten als „edle Wilde“.11
Sein Gemälde Indianer auf Pferden (1911) zeigt im Bildvordergrund drei Indianer, zwei zu Pferd und einen zu Fuß mit einem Federstab in der Hand. In der hügeligen Landschaft sind zwei schemenhaft dargestellte Häuser zu erkennen. Auch ein weiteres Werk von Macke mit dem Titel Indianer (1911) präsentiert das Interesse der Blauen Reiter an fremden Kulturen. Die lebhafte Farbgebung und die einfachen Formen, mit welchen drei Indigene in einem dargestellt wurden, erinnern dabei eher an Mackes vom Fauvismus geprägte Werke.12 Diese Bilderreihe (Reitende Indianer beim Zelt, Indianer und Indianer auf Pferden) beruht sowohl auf der Fantasie Mackes als auch auf seinen Beobachtungen der Wildwest-Schausteller. Ihm gelang es, seine romantische Vorstellung des Wilden Westens mit den künstlerischen und intellektuellen Einflüssen des Blauen Reiters zusammenzuführen und diese Wahrnehmung in den drei Werken auf unterschiedliche Art und Weise umzusetzen.
- Moeller, Magdalena M.: Der Blaue Reiter, Köln 2003, S. 112.
- Güse, Ernst-Gerhard: August Macke. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, München 1986, S. 331.
- Ebd., S. 331f.
- Moeller 2003 (wie Anm. 1), S. 112.
- Ebd.
- Bolz, Peter: Indianer und Katsinam. Annäherungen der europäischen Avantgarde an die indigenen Kulturen Nordamerikas, in: Ausst.kat. dada Afrika. Dialog mit dem Fremden, Zürich (Museum Rietberg Zürich), Zürich 2016, S. 56–60, hier: S. 58.
- McCloskey, Barbara: Von der Frontier zum Wilden Westen. Deutsche Künstler, nordamerikanische Indianer und die Inszenierung von Rasse und Nation im 19. und frühen 10. Jahrhundert, in: Ausst.kat. I Like America, Frankfurt am Main (Schirn Kunsthalle), München 2006, S. 298–321, hier: S.312.
- Ebd., S. 311.
- Bolz 2006 (wie Anm. 6), S. 56.
- Ebd.
- McCloskey 2006 (wie Anm. 7), S. 322.
- Ebd., S. 313.