Die Wanderer - Katsinam, tithu und Aby Warburg

Vorwort

Die aus den Wurzeln der Amerikanischen Pappel geschnitzten Figuren der Hopi, die umgangssprachlich als Katsina-Puppen bezeichnet, von ihren Schnitzern aber tithu (Katsina-Kinder) genannt werden, gehören zu den ikonischen Objekten des indigenen Nordamerika. Sie werden heute ebenso zeremoniell verwendet, wie Künstler Sie für den Tourimus- und Kunstmarkt produzieren. Unter den Hopi ist bis heute umstritten, ob die Vermarktung der Figuren, die Abbildung spiritueller Wesen – der Katsinam – sind, angemessen ist. Trotz dieser Zweifel wurden Sie ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhundert zu begehrten Sammlerobjekten. Zu dieser Zeit begannen viele Hopi mit Unterstützung lokaler Händler, für den wachsenden Markt zu produzieren. Heute finden sich in vielen Museen große Kollektionen der Figuren, deren wissenschaftliche Bearbeitung lange Zeit vernachlässigt wurde oder vor allem auf die Bedürfnisse des Kunstmarktes ausgerichtet war.

Diese virtuelle Ausstellung widmet sich einer dieser Kollektionen, die nach etwa 30jähriger Sammeltätigkeit 2018 als Schenkung von Antonio und Christin Ferretti an das Nordamerika Native Museum der Stadt Zürich (NONAM) kam. Studierende der Ethnologie und Kunstgeschichte widmeten sich im Rahmen einer interdisziplinären Lehrveranstaltung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main den tithu dieser Ferretti-Sammlung. Im Sommersemester 2020 untersuchten sie jeweils eine Gruppe von Katsina-Figuren, welche das Ehepaar insbesondere von Hopi-Künstlern erworben hatte, die es gut kannte. Die daraus resultierenden Texte präsentieren hier neben Beschreibung und Darstellung der technischen Daten auch die Funktion und den ethnografischen Kontext der Katsinam. Damit wird ein Versuch unternommen, diese heute musealisierten Objekte in ihren ursprünglichen Kontext zu stellen, um so ein besseres Verständnis von deren Bedeutung für die Kultur der Hopi zu entwickeln.

Leider verhinderte die Sars-CoV-2-Pandemie viele für den kritischen Umgang mit ethnographischen Objekten relevante Arbeitsschritte, und wir sind uns bewusst, dass wir mit diesem Projekt keine vollständige Aufarbeitung – insbesondere keine angemessen Provenienzforschung – der Sammlung bieten können. So beruhen die Beschreibungen der Studierenden lediglich auf den vom NONAM bereitgestellten Fotografien, da eine geplante Exkursion nach Zürich nicht stattfinden konnte. Die teilweise Schließung von Bibliotheken schränkte die Recherchemöglichkeiten ebenfalls ein. Ein zentrales Element des Projekts war ursprünglich der geplante Besuch von Vertreter*innen der Hopi in Frankfurt, der eine emische Perspektive auf das Thema ermöglichen sollte. Auch dies musste wegen der Reisebeschränkungen entfallen. Die Schließung der Hopi-Reservation zum Schutz vor Infektionen und die dort eingeschränkten technischen Möglichkeiten ließen es auch nicht zu, über „virtuelle“ Wege Ersatz zu schaffen. Durch die zum Teil spontane Bereitschaft zur Diskussion per Videokonferenz konnte aber zumindest ein Austausch mit Wissenschaftler*innen aus Amerika und Europa in kleinem Rahmen realisiert werden.. Hier möchten wir besonders Heidrun Löb vom Nordamerika Native Museum der Stadt Zürich und Kelley Hays-Gilpin vom Museum of Northern Arizona danken. Die erste half mit wichtigen Hintergrundinformationen zur Ferretti-Sammlung, da wir nicht auf die etwas 250seitige Dokumentation zugreifen konnten. Die zweite ermöglichte uns einen sehr hilfreichen Einblick in die museale Perspektive auf die Zusammenarbeit mit Hopi in Bezug auf die museale Repräsentation der tithu.

Der zweite Schwerpunkt der Lehrveranstaltung lag auf der künstlerischen Rezeption der nordamerikanischen "Indianer" in Europa. Nicht nur für den Kulturwissenschaftler Aby Warburg hatten die Rituale und Artefakte der Hopi eine fesselnde Wirkung, auch viele Künstler waren von „Indianern“ und ihren Kulturen so fasziniert, dass sie diese – mal mehr, mal weniger – reflektiert darstellten. Während Maler wie Max Slevogt, August Macke und Otto Dix Werke mit "Indianer"-Szenen schufen, platzierte Emil Nolde in seinen Stillleben tithu als dekorative Elemente. Die Surrealisten André Breton, Max Ernst und Marcel Duchamp besaßen eigene Sammlungen von tithu, die jedoch kaum Eingang in ihr künstlerisches Oeuvre fanden.

Der Projekttitel verknüpft diese beiden Bearbeitungskomplexe: „Wanderer zwischen den Welten“ bezieht sich ebenso auf Warburg, wie auf die Katsinam, die sich als Geistwesen zwischen der Unterwelt und unserer Welt bewegen. Zugleich deutet er auch auf die Bedeutungsverschiebung der Figuren hin, wenn sie von den Hopi in ein Museum wechseln.

Die großzügige Unterstützung durch die Förderfonds Lehre und den Starken Start ins Studium machten das Projektseminar und die virtuelle Ausstellung möglich. Unser herzlicher Dank gilt Paula Günther (Redaktion) und Antje Malke, Andreas Otto, Ilia Nasyrov (Programmierung und Gestaltung der Webseite), ohne die eine Fertigstellung der Ausstellung nicht möglich gewesen wäre. Besonders möchten wir Lehrenden auch den übrigen Studierenden danken, die sich mit großem und kritischem Engagement auf das unter erschwerten Bedingungen und rein virtuell durchgeführte Projekt eingelassen haben und durch ihre Arbeit dieser Ausstellung den Inhalt gaben: Julia Ballweg dos Santos, Elaine Breidenstein, Sarah Heidari, Margaret Hogie, Ali Hwajeh, Birgit Klein, Merle Kubasch, Kim Rathnau, Franka Schlupp, Carolin Schulz, Flóra Sebö, Sofia Simeth, Manuel Steiner, Min Zeng und Ida Zürn. Unser besonderer Dank gilt aber dem Nordamerika Native Museum der Stadt Zürich, das uns als Kooperationspartner unterstützte und seine Sammlung zur Verfügung stellte.

Frankfurt am Main im November 2020
Hilja Droste und Markus Lindner

Hopi

Die Hopi sind die westlichste der als Pueblo zusammengefassten indigenen Gruppen im Südwesten der USA. Zwar haben diese kulturellen und religiösen Gemeinsamkeiten, doch ist die populäre und wissenschaftliche Zusammenfassung, die in der spanischen Kolonialzeit nur aufgrund der Dorfstrukturen erfolgte, nicht angemessen.

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Religion

Die nähere Beschreibung der Religion finden viele Hopi unangemessen, und die Erfahrung mit esoterischer Aufarbeitung durch Euro-Amerikanische Autoren hat eine berechtigte Skepsis insbesondere gegenüber nicht-Hopi verursacht, die sich daran versuchen. Dabei sind sie allerdings offener als andere Pueblo-Gruppen.

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Zeremonien

Der öffentliche Teil der Zeremonien sind Tänze, die im Winter in der Kiva, ab dem Frühling auf der Plaza des jeweiligen Dorfes stattfinden. Ein auffälliges Element des Zeremonialzyklus ist die Zweiteilung in ein halbes Jahr mit Katsinam und einem halben Jahr, in dem die Katsinam nicht bei den Hopi sind.

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Katsinam

Im Frühjahr 2013 berichteten internationale Medien über die Proteste der Hopi gegen eine Versteigerung von Katsinammasken im Pariser Auktionshaus Drouot. Die Hopi und viele Unterstützer forderten die Restitution der Masken. Auch wenn der Protest mit einer juristischen Niederlage der Hopi endete, zeigte die Debatte deutlich den Stellenwert, den die Katsinam für die Hopi haben.

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Der Weg der Katsinam
in das europäische Bewusstsein

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Katsinam – aber vor allem auch tithu – geht auf das späte 19. Jahrhundert zurück. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erwarben Reisende vereinzelt Figuren von den Hopi, das wissenschaftliche Interesse begann jedoch konkret 1879.

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tithu

Die Objekte der Hopi, die von Beginn an die größte Faszination auf Reisende, Ethnologen und Künstler ausübten waren die aus dem Wurzelholz der Amerikanischen Pappel (Cottonwood) geschnitzten Darstellungen der Katsinam, die von diesen bis heute zeremoniell an Mädchen verschenkt werden.

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Wissenschaftliche Bearbeitung
und Klassifikation

Neben Institutionen haben auch schon früh Privatpersonen begonnen tithu zu sammeln. Neben Künstlern wie z. B. André Breton oder Max Ernst, die sich vor allem aus künstlerischer Perspektive für die Figuren interessierten, waren dies vor allem Amerikaner*innen, die dem in den 1890er Jahren verstärkt einsetzenden Boom der Vermarktung von „indianischem“ Kunsthandwerk aus dem Südwesten der USA folgten.

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Merkmale und Herstellung

Bei der Betrachtung von tithu fällt auf Anhieb die große Bandbreite an Gestaltungsmerkmalen auf, von denen einige mehr, die anderen weniger Bedeutung haben. Von besonderer Bedeutung sind die Farben, mit denen die Köpfe (bei den tanzenden Katsinam sind es die Masken) bemalt sind. Für die Hopi symbolisieren die Farben die sechs möglichen Richtungen. Dadurch gibt die Farbe des Gesichts die Richtung an, aus der der Katsinam gekommen ist.

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