George Grosz

von Sarah Heidari

Georg Grosz, ein Mitbegründer der Berliner Dada-Gruppe, ist für uns vor allem bekannt als satirischer Gesellschaftskritiker der Weimarer Republik. Grosz entwickelte eine eigene Malweise, die im Kontrast zu der bekannten und traditionellen Kunstschaffung stehen sollte. Als Inspiration dienten ihm Kindergemälde sowie Graffitis, die er auf öffentlichen Toiletten oder an Straßenecken fand. Er verstand sich als Antideutscher und Pro-Amerikaner: Seine Kunst inszenierte er als Instrument gegen die politischen Umstände in Deutschland und somit gleichzeitig als Möglichkeit zum Protest.1
Seine Werke nach dem ersten Weltkrieg thematisieren die sozioökonomische und politische Lage in Deutschland und werden oft mithilfe von biographischen Ansätzen analysiert.2 Seit seiner Jugend war Grosz stark fasziniert von den USA, sodass er 1932 dahin auswanderte, um sich selbst ein Bild von dem Land zu machen.3

Die Darstellung des Wilden Westen (1916)

Zwei seiner Gemälde, die beide den Titel Wildwest tragen, zeigen unterschiedliche Darstellungsweisen der indigenen Bevölkerung in den USA. Wichtig hierbei scheint die Datierung. Grosz stellte das hochformatige Werk 1916 her während er noch in Deutschland lebte. In dem Bild sind unterschiedliche Personen zu sehen, die stereotypisierte indigene Personen sowie Figuren des deutschen Großstadtlebens darstellen sollen. Knallige Farben, jedoch zum Abdunkeln umrandet, bilden eine aufgeladene Szene ab. Im Vordergrund ist eine nackte Frau zu sehen, deren Oberkörper unbekleidet ist. Ihr Gesicht und ihre Arm sind mit Musterungen verziert und die Haare sind hochgesteckt. Die Frau schaut die Betrachter*innen direkt an und mit ihren leicht zusammengezogenen Augenbrauen und den großen Augen wirkt sie leidend. Ihre Hände verschränken sich vor ihrem Bauch, als würde sie diesen halten. Auch ihr Schambereich ist nackt dargestellt und ein wenig Schmuck ziert gerade einmal ihren Hals und ihre Ohren. Rechts neben ihr ist ein Hund mit offenem Maul zu sehen. Oberhalb des Hundes ist eine weitere indigene Person zu erkennen: Mit einem Gewehr in der Hand und im Profil abgebildet, läuft dieser zielstrebig auf den rechten Bildrand zu. Was er mit seinem starren Blick fixiert, wird nicht mit den Betrachtenden geteilt.
Hinter ihm positioniert sich ein weißer Mann, dessen kahler, runder Kopf mit den zusammengezogenen Augenbrauen hinter dem Körper der indigenen Person sichtbar ist. Im linken Mittelgrund sitzen zwei weitere Personen an einem Tisch. Während ein Mann seine Pfeife raucht und seinen Blick, abgelenkt von den Worten des anderen, auf die Frau im Vordergrund gerichtet hat, hält der zweite Mann seine offene Hand vor ihn, als würde er Geld von diesem verlangen. Auf dem Tisch bereit liegen Alkohol, Waffen und sogar ein Kreuz, das die christlich-geprägte Welt symbolisiert.

Der Wilden Westen (1935)

Eine weitere Darstellung mit demselben Titel malte Grosz im Jahr 1935. Ein großer Unterschied ist bereits in seiner Malweise zu erkennen. Statt düstere, jedoch zugleich knallige Farben, kräftige Konturen und groß abgebildete Personen darzustellen, werden im Aquarell verschiedene Szenarien angeschnitten, die sich gegenseitig erklären und ergänzen. Wie eine Comic-Geschichte, erzählt das Bild von der Ankunft weißer Personen, die gewaltsam gegen indigene Menschen vorgehen. Bereits in der oberen Hälfte sind mehrere Szenen zu erkennen, die an genozidale Erzählungen erinnern. Die indigenen Personen sind auf dem Blatt meist mit traditioneller Kleidung dargestellt und viele sind mit Federn geschmückt. Die weißen Personen tragen Uniformen und werden mit Gewehren in der Hand dargestellt. Deutlich im Vordergrund ist die Verbrennung einer gehängten Figur zu sehen. Die Gewalt, die von der weißen Bevölkerung ausgeht, um eine Vormachtstellung einzuhalten, wird in dem Aquarell klar und deutlich. Zeitgleich werden die indigenen Personen nicht passiv dargestellt. Grosz zeigt, wie diese sich mit Waffen wehren und gegen die Eingewanderten kämpfen. Sie sind somit nicht nur, wie in vielen westlichen Darstellungen anderer Kulturen, als passiv zu begreifen, sondern formen das Geschehen und die Umstände mit.

Der Vergleich der Darstellungen

Grosz zeigt zwei Mal eine gleichbenannte Szene, aber mit einem sehr deutlichen Unter-schied: 1916, als der Maler das erste Gemälde mit dem Titel Wildwest malte, lebte er noch in Deutschland, idealisierte die USA aber bereits und bezeichnete sich selbst als antideutsch und antinationalistisch sowie proamerikanisch. Davon ausgehend kann gedeutet werden, dass Grosz viele unterschiedliche Stereotypen und rassistische Bilder von indigenen Personen in Deutschland rezipiert hat. So wie heutzutage stets die Eingewanderten als „Entdecker“ betitelt werden, scheint das düstere Stadtbild Grosz, was enorme Ähnlichkeiten zu anderen deut-schen Künstler*innen seiner Zeit aufweist und von klaren expressiven Zügen geprägt ist, von solchen Überbringungen geprägt zu sein. Die völlig entblößte Frau im Vordergrund schaut die betrachtende Person direkt an, während die Blicke anderer, männlicher Figuren wiederum auf sie gerichtet sind.
Währenddessen stellt Grosz mehrere Jahre später eine ganz andere Szene dar. Nachdem er 1932 in die USA auswanderte, veränderte sich möglicherweise seine Sichtweise auf die Situ-ation der indigenen Bevölkerung. Statt diese als passive Dulder darzustellen, stellt das zweite Gemälde, The Wildwest, welches durch den Artikel im Namen auch realitätsnäher betitelt wurde, die indigene Bevölkerung neben den gezeigten weißen Personen als Akteure dar, die handeln und sich gegen die kolonialistischen Verhältnisse verteidigen. Durch farbliche Akzen-te werden die besonderen Stellen hervorgehoben, um Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Praktiken beider Gruppen zu richten, ob kämpferische Verteidigung oder genozidale Atta-cken. Trotzdem bleibt das zweite Bild nicht frei von den eingesessenen, existierenden Vorur-teilen und Bildern, die Grosz über die indigenen Personen konsumierte.
Um das zweite Bild bereits als kritische Auseinandersetzung während dieser Zeit deuten zu können, müssten die Hintergründe und Gedanken des Künstlers genauer untersucht werden. Gleichwohl scheint das 1935 gemalte Bild eine andere Sichtweise auf die Thematik freizugle-gen als das ältere Werk.

  1. Bolz, Peter, Indianer und Katsinam. Annäherungen der europäischen Avantgarde in die indigenen Kulturen Nordamerikas, in: Ausst.kat. dada Afrika. Dialog mit dem Fremden, Zürich/Berlin (Museum Rietberg Zürich/Berlinische Galerie), Zürich 2016, S. 56–61, hier: S. 56.
  2. Holzheimer, Sandro: Zur Zeit Maler und Dichter. Der Doppelte George Grosz: Intermediale Bezüge zwischen Grosz’ lyrischem Werk und ausgewählten Zeichnungen, Ontario 2005, S. 6.
  3. Koslow, Francine A.: Envisioning America. Prints, Drawings, and Photographs by George Grosz and his Cntemporaries, Cambridge 1990, S. 156.